Stones: 1.Mai im Juni

1.Mai im Juni

Am frühen Morgen schon eine Fahne haben? Was früher verpönt war, wird jetzt zur Mode, ganz Berlin ist beflaggt, selbst die Autos.

Und was mich hierbei wundert: irgendwie habe ich kein gutes Gefühl bei der Sache. Dabei liebe ich mein Land und finde es ganz toll, vor allem kann ich gut über die zahlreichen kleinen Fehlerchen hinwegschauen, die belanglos werden, wenn man sich den Unfug anschaut, der in anderen Ländern verzapft wird. Aber trotzdem, ich finde das übertrieben und beginne mich schon wieder mit eingezogenem Kopf umzuschauen, ob uns nicht die Nachbarn erneut für eine Bande von Nationalisten halten. Und fühlt man sich als Franzose nicht angegriffen, wenn ihm einer mit ‘ner Fahne vor der Nase rumwedelt, die aus Uniformteilen der Befreiungskriege gegen Napoleon zusammengeschneidert wurde? Und gäbe es nicht bessere Möglichkeiten, sich mit diesem Land zu identifizieren und etwas dafür zu tun? Wie wärs mit einem heute-halten-wir-uns-mal-alle-an-die-Verkehrsregeln-Tag? Oder das Finanzamt mal nicht beschummeln? Oder bei einer Bundestagswahl vor dem Kreuzchen kurz nachdenken? Oder die Fertilitätsrate aufs Ersatzniveau heben? Oder den Nachbarn mal so sein lassen wie er ist? Oder… achnaja, das ist wohl alles zu anstrengend. Da werde ich mich wohl auch heute vor die Leinwand stellen und meine Vaterlandsliebe dadurch zum Audruck bringen, dass ich rhythmisch ‘Doooitschland-Doooitschland’ gröhle. Das ist in der Gruppe eh am schönsten.

9. Juni 2006, 12:58 von Andreas Jahn

Kommentare

Vorher noch den Kopp rasieren?
— e-sven 9. Juni 2006, 13:16 #
Der Friseur ist erst morgen dran. Aber vielleicht finden wir noch einen dieser praktischen Trikolorenstifte, mit dem man sich das Gesicht je nach Spiel bemalen kann.
— Andreas 9. Juni 2006, 15:09 #
Dann heute bitte blau-weiß-rot-weiß-blau mitbringen.
— e-sven 9. Juni 2006, 15:44 #
Das mit den öffentlichen nehm ich zurück, es ist nur noch ne Quälerei zwischen Alex und Zoo S-Bahn zu fahren!
— matthi 9. Juni 2006, 16:53 #
Also man kann’s auch übertreiben mit dem gutgemeinten Ungehagen gegenüber dem deutschen Nationalstolz! Ich glaube ehrlich gesagt kaum, dass sich irgendein Franzose dafür interessiert, aus welchem Stoff die deutsche Urflagge genäht wurde (außerdem sind die meisten Nationalflaggen mit Blut befleckt, das hat die Geschichte des Nationalstaats so an sich…). Die würden uns viel eher für total bescheuert erklären, wenn in dem ganzen Fahnenmehr bei der WM in D keine einzige deutsche Fahne zu sehen wäre.
— Henny 14. Juni 2006, 09:03 #
Nationalstolzdebatte hin oder her, aber das letzte Mal habe ich ein solches Fahnenmeer und die allgegenwärtige Fensterbeflaggung in der DDR gesehen. Von der zusammengenähten 8m-Version, die über drei Stockwerke hing und bei mir Drittreichsassoziationen weckte, will ich gar nicht erst anfangen. Vielleicht fehlt mir da einfach der farbliche Kontrast, aber mitlerweile ziehen die 15 Millionen Zugewanderten nach. Im Übrigen fand ich schon bei meinem Amerika-Aufenthalt, lange ist’s her, die dortigen Fähnchen auf den Autos störend. Ich habe mich als Ausländer reichlich deplatziert gefühlt und sowas würde ich hier gerne vermeiden.
— Andreas 14. Juni 2006, 15:14 #
Ich glaube, du kannst dich entspannt zurücklehnen: Es ist nicht zu befürchten, dass sich die zur WM angereisten Ausländer hier deplaziert fühlen, da sie ihre eigenen Fahnen mitgebracht haben, um sie frenetisch bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu schwenken. Und Zertifikate über das ordnungsgemäße Zahlen der Steuern sind leider nicht so schön bunt und folglich ungeeignet zum Schwenken… ;)
— Henny 14. Juni 2006, 19:08 #

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