Stones: Begeisterungsfähigkeit

Begeisterungsfähigkeit

Ich sah einen Dialog mit einem Historiker/Soziologen, der den Europäern ein Enthusiasmusdefizit attestierte. Während die Völker außerhalb Europas noch mit dem mentalen Eintritt in die Moderne hadern sind die Europäer absolut nicht mehr willens, sich für eine Person, Religion oder Ideologie einzusetzen, geschweige denn sich umbringen zu lassen. Wenn man bedenkt wie jauchzend man noch in den Ersten Weltkrieg zog, dann kann man sich gut vorstellen, wie leicht sich im Nahen Osten Hunderttausende Streiter für eine ‘gerechte Sache’ mobilisieren lassen. Das ist ein Fortschritt, aber auch insofern ein Problem, wie wir Europäer oder Menschen aus dem Westen von außen mit einem Etikett beklebt und verachtet werden können, ohne ihnen ein Selbstbewusstsein entgegenzusetzen. Ob man uns nun alle als Christen, Imperialisten, Barbaren, Kreuzzügler oder Zionisten sieht, es sind überspitzte Darstellungen, die wir durch ihre maßlos übertriebene Verallgemeinerung gar nicht richtig in ihrer Tiefe wahrnehmen und uns diesem Feindbild zuordnen können.
Anstatt uns diskursiv zu verteidigen, tolerieren und urteilen wir hingegen nur, immer abwechselnd. Indem wir von Extremisten und Fanatikern reden, stülpen wir ihnen das gleiche Wertesystem über, das uns zwar absolut schlüssig scheint, ihren Eifer für ihre Sache aber in Misskredit bringt. Jedesmal wenn wir Menschenrechte anmahnen wächst der Hass, da wir ihre Entschlossenheit ignorieren, für ihre Sache zu streiten, die wiederum Teil der fremden Kultur ist.
Aber da schweife ich schon wieder ab. Fakt ist, dass man in Ägypten für den Versuch einer neuen Koraninterpretation vom Mob gelyncht werden kann, während bei uns ein geköpfter Jesus niemanden hinter dem Ofen vorlockt. Und viel schlimmer: wer kann sich bei uns noch für die Demokratie begeistern. Wir haben sie und alle meckern. Dabei darf man hier sagen was man will, man darf glauben was man will und niemand braucht sich zu fürchten, nachts von einer Todesschwadron mitgenommen zu werden. Es gibt ein bürgerliches Gesetzbuch, Sozialtransfers und das Recht in der Öffentlichkeit Rotwein zu trinken. Europa ist toll, aber die Begeisterung hält sich in Grenzen. Das verstehe ich nicht.

11. Dezember 2006, 19:04 von Andreas Jahn

Kommentare

Zumindest der deutsche Europäer hat sich seine Begeisterungsfähigkeit erhalten. Solch eine ausgeprägte Regelungswut wird man auf der Welt sonst nirgends finden.
— e-sven 12. Dezember 2006, 17:12 #

Stones: Begeisterungsfähigkeit

Begeisterungsfähigkeit

Kommentare

Links

Kategorien

Meta