Stones: Euphemismus des Tages 42

Euphemismus des Tages 42

Egal wen man fragt, heute sind alle

“ernstlich besorgt”.

Ob EU, NATO, Weltsicherheitsrat oder wer auch immer, alle habe heute ein ganz schlechtes Gefühl betreffs der Lage in Georgien. Unser weit/umsichtiger Außenminister hat es sich nehmen lassen, beim Georgischen Präsidenten persönlich anzurufen und ihm von seiner Sorge zu erzählen.

Und was soll der jetzt machen? Mag ja sein, dass er den Bogen überspannt hat und mit stiller Befürwortung bislang ungenannter Unterstützer die Ossetengebiete in einer Hauruck-Aktion “befrieden” wollte. Aber nun sind die Russen einmarschiert und er hat die Genaralmobilmachung angeordnet. Formell ist Ossetien immer noch georgisches Staatsgebiet und wenn die Russen nicht mehr “Friedenssichernd” aktiv sind, sondern die Bildung einer von ihr abhängigen Autonomiezone militärisch absichern, in der die Leute heute schon einen russischen Pass haben, dann grenzt das an eine Eroberung fremden Territoriums. Was nun? Möglichkeiten zur weiteren Eskalation gibt es viele. Werden die Russen sich auf Ossetien beschränken? Einen Flughafen bei Tiflis haben sie schon bombardiert. Werden die russisch unterstützten Abchasen mitmischen? Wird der Westen dem Fast-NATO-Mitglied Georgien weitere Waffen zukommen lassen, nachdem sie das schon die letzten Jahre getan und auch die Armee ausgebildet haben, um wahrscheinlich genau das zu tun, womit die Georgier heute morgen angefangen haben? Schließlich gehts hier auch um Öl-Transitrouten auf die Russland keinen Zugriff hätte.
Was also werden die Großmächte tun, wird sich eine Seite damit abfinden, mit einer blutigen Nase davonzugehen? Oder wird man auf einen Status Quo hinarbeiten? Es bleibt spannend.

8. August 2008, 15:58 von Andreas Jahn

Kommentare

Wenn man auf den Tag zurückblickt ergeben sich interessante Perspektiven.
Da war heute vormittag von der georgischen Offensive die Rede, die ersten Bilder zeigten georgische Panzer auf dem Weg zur Front, eindrucksvolle georgische Soldaten in neuen Uniformen und von Osseten geschossene Löcher in der Georgischen Landschaft, um die unzählige Fotografen herumstanden. Das sah schon ganz gut nach Propaganda aus und überraschend kam das für die Georgier auch nicht. Vielleicht wollten sie wirklich schnell durch ihre neuen US-Waffen mit den Osseten aufräumen und nahmen eine Einmischung Russlands in Kauf.
Die Russen hingegen sind ab dem Nachmittag einmarschiert, um ihre Bürger zu schützen, wie ihr Präsident Medvedev verkündete. Das nenne ich eine beeindruckende Reaktionszeit. Plötzlich flimmerten auch Bilder von brennenden georgischen Panzern über die Bildschirme.
Wenn ich mich dann frage, warum die Osseten dann schon vor Tagen ihre Kinder evakuiert haben und seit dem Grenzzwischenfälle mit einem massiv überlegenen Feind provozierten, dann könnte man schon vermuten, dass die Georgier in eine Falle getappt sind. Zumindest haben sich die Osseten mit den Russen besser koordiniert, als die Georgier mit den Amerikanern, die sie jetzt um Hilfe ~~anbetteln~~ ersuchen. Aber die können nicht einfach Georgien gegen die Russen verteidigen.
Das müssen sie wohl auch nicht. Es wird den Russen wohl reichen, die Georgier aus Ossetien wieder rauszudrängen. Damit haben sie denen gezeigt, dass sie nichts zu sagen haben und wenn sie sich nicht damit abfinden wollen und den Konflikt weiterführen wollen, werden die Abchasen auf sie losgelassen. Damit kann Georgien jetzt schon vergessen, in die NATO zu kommen, gleichzeitig bekommen die USA gezeigt, dass ihr Einfluss an der türkischen Grenze aufhört und sie ihren Freunden nicht effektiv helfen kann. Das wird langfristige Folgen für die Bündniszugehörigkeit der Ukraine und der innerasiatischen Staaten haben. Georgien wird das überleben (bei ihrem Präsidenten bin ich da nicht so sicher), aber die USA können hier massiv ihr Gesicht verlieren, wenn ihnen dazu nicht was passendes einfällt. Damit steht Russland recht komfortabel da, anders kann ich es mir auch nicht erklären, dass Putin die Ruhe hat, sich in Peking hüpfende Chinesen anzugucken, wenn nicht alles nach Plan liefe.

PS: Steinmeier hat erneut die Konfliktparteien zu einer friedlichen Lösung des Problems aufgerufen. Der macht sich wirklich lächerlich, indem er seinen Senf dazu gibt, wenn die großen Jungs “spielen”..
— Andreas 9. August 2008, 00:15 #
Bisher lag ich doch gar nicht schlecht, außer dass die Russen skrupelloser sind als ich dachte. Jetzt sollen die Georgier komplett aus den Provinzen raus und bekommen dazu noch die Infrastruktur zerbombt.

EU und Nato sind dazu bislang noch nicht viel eingefallen, außer dass sie mit einer Beschädigung der guten Beziehungen drohen. Die Georgier können nicht mehr, der einzige Grund für die Russen, sich auf einen EU-inspirierten Kuhhandel einzulassen, wäre die kippende Weltmeinung. Ich bin wirklich neugierig, ob die Georgier wirklich so dämlich waren, bei ihrem Einmarsch in Ossetien solche Massaker und Foltereien zu begehen, wie die Russen es behaupten. Damit hätten sie sich selbst ins Bein geschossen.

Wie auch immer, Russland wird nichts unterschreiben, bis man die Georgier verteidigungsunfähig gemacht und die Provinzen plus Pufferzone ‘befreit’ hat. Der Fall von Sakaaschwili wäre noch ein netter Bonus, aber das wird eh passieren, wenn ihn bei der nächsten Wahl die Leute für das Desaster abstrafen.

Angenommen in nächster Zeit käme man zu einer Einigung, z.B. Georgien würde sich mit dem Verlust abfinden, bekäme aber dadurch eine Option auf die Nato oder selbst eine bündnisfreie Neutralität mit Bestandsgarantie durch die Großmächte, dann darf man über die Freude der Beendigung des Konflikts eines nicht vergessen: damit wird eine Grenzlinie der Einflußsphären gezogen, die nach Osten einer Verlängerung bedarf. Dort sind Armenien und Aserbaidschan und bei der dortigen Problemlage kann einem richtig schlecht werden.
— Andreas 11. August 2008, 15:28 #
Komisch, was derzeit die Kommentatoren dazu ablassen. Natürlich kann man Georgien als Verlierer sehen. Aber dafür, dass sie mit dem großen Bären gekämpft haben, sind sie bisher noch recht glimpflich davongekommen. Derzeit haben sie Leute und Material verloren, aber offiziell keine Gebiete. Sicherlich hat die Infrastruktur gelitten, aber das werden schon der Westen und die Auslandsgeorgier mit Spenden wieder richten. Gleichzeitig gibts, auch wenn man das zynisch nennen mag, erreichte Ziele: die Russen sind vom parteiischen Vermittler zum Mitspieler geworden, eine große Anzahl der Osseten hat Georgien verlassen und Süd-Ossetien ist als Trümmerlandschaft für die Geflohenen ein wenig attraktiver Ort zum Zurückkehren.
— Andreas 13. August 2008, 18:04 #

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