Stones: Bürokratie

Bürokratie

Wie harmlos doch dieses Wort daher kommt. Wie altbekannt es wirkt, wie monolithisch es sich einem entgegenstellt und in der Form doch nicht greifbar ist, wie es sich ständig wandelt und neue Facetten offenbart. Eben ist es ein Sumpf, in dem man zu versinken droht, dann ist es die Wand, vor der man steht, ohne eine Tür zu kennen, dann ist es der kalte Eiswind des Formalismus, der einem mit der fanatischen Strenge des Großinquisitors ins Gesicht schlägt, ohne doch den eigenen Sinn reflektieren zu können. Eben ist es noch ein Wort, gemeißelt in Stein, greift man danach, so zerfließt es in den Händen und wird zur formlosen, unberechenbaren Masse der willkürlichen Anpassung an unergründliche äußere Umstände. Gnostiker sprechen von der Metaphysik, Materialisten vom Chaos. Ja, Chaos! Dieses Chaos ist nicht regellos, es ist eine Ansammlung von hochdeterminierten Einzelprozessen, die sich in der Summe zu unvorhersagbaren Mustern verbinden und verweben und die den kleinen Menschen nur staunen lassen, ihn in seiner geistigen Begrenztheit glauben machen, er wäre Zeuge eines Aktes von Schöpfung, einer generatio spontanae des sozialen Raums, peinigend paradox in seiner dualistischen Wesenseinheit aus wertungslos sinnentblößter Pedanterie und dem Aufscheinenden abgründiger Bosheit. Hier herrscht noch die Natur, hier triumphiert sie und lacht uns aus der Entropie entgegen, die uns unser kleinmütig menschliches Streben nach Ordnung beschert hat.

Im Alltag stellt sich das folgendermaßen dar: ich schreibe Antrag, ich warte, ich bin arbeitslos, ich warte, ich werde bewilligt, ich habe die Kohle, ich habe aber keinen Job. Warum? Einstellungsstop von November bis zum Jahresende. Warum? Weil die Verwaltung überlastet ist. Fazit: Ich könnte den Vertrag heute und zum 1.11. wirkend unterschreiben, er wird aber erst im Januar bearbeitet, mit etwas Glück schafft es die Gehaltsstelle, bis Mitte Februar die Überweisungen zu starten, vielleicht auch erst beim nächsten Termin Mitte März. Allerdings würde für die Zeit auch kein Amt mehr zahlen und auch die Sozial- und Krankenvers.-Meldungen würden wohl nicht mehr rausgehen. Aber was kann daran nun so schwer sein, Vertrag drucken, unterschreiben, abgeben, fertig. Es ist doch noch Zeit, oder? Schon richtig, aber es gibt neue Verordnungen, wonach es jedes Mal eine Ausschreibung, Bewerbung und Personalratsentscheidung geben muss. Das kann allerdings erst losgehen, nachdem der Fördermittel-Verfügbarkeits-Abgleich gelaufen ist, was nun nach der Drittmittelanzeige in der Verwaltung gestartet wurde. Allein letzteres hat ’ne Woche gedauert. Der Zuständige hat’s Passwort verbummelt. Kann ja mal passieren..

6. Oktober 2009, 15:40 von Andreas Jahn

Kommentare

Und all das nur für eine Verlängerung??? Ich bin entsetzt. Ich frage morgen mal meine Kollegen unverbindlich, ob wir als Geldgeber überhaupt damit einverstanden sein müssen. Schließlich schadet das dem Projekt. Du könntest das auch mal Deinem Antragsteller sagen, dass er mit diesen Argumenten in der Personalabteilung Druck macht…
— Antenne 6. Oktober 2009, 18:54 #
Der hat’s mir ja gesagt und daraufhin habe ich erst meine Nachforschungen angestellt. Was soll man da machen, die lassen in unserer Verwaltung pünktlich zum 1.Nov den Stift fallen und widmen sich nur noch der Übertragung bestehender Beschäftigungs-Verhältnisse. Und du weisst ja, dass die Gehaltsstelle ganz woanders ist und die beiden Bürokratien gerne auch gegeneinander arbeiten.

Jedenfalls werde nicht nur ich davon betroffen sein, sondern auch ein paar große dringliche Projekte und vermutlich würden die Verwalter das nicht machen, wenn sie keine Rückendeckung hätten..
— Andreas 7. Oktober 2009, 12:19 #
Meine unverbindliche Recherche hat jedenfalls ergeben, dass wir damit nicht so ohne weiteres einverstanden sein können. Es empfiehlt sich ein offizielles Schreiben an die Geschäftsstelle, evtl. sogar eines an den Präsidenten. Damit könnten wir dann der zuständigen Stelle (dem GD?) unsere Meinung dazu sagen…
— Antenne 7. Oktober 2009, 14:06 #
(sorry für die späte Reaktion, ich hab’s übersehen..)

Der aktuelle Stand: Die entscheidende Frau war nun eine Woche krank und heute Nachmittag, als ich vorbeikam, schon in die Gleitzeit entschwunden.. Die stattdessen vorgefundene Frau S… (du kennst sie) hat mich erstmal 10 Minuten ignoriert und danach ewig ihr Leid geklagt, dass es ja so viel Arbeit gäbe. Sie verwies mich auf Frau Nr.3 und die war tatsächlich ein Glücksgriff. Sie meinte, dass man das Ausschreibungsgedöns auch mit einem passenden Antrag umgehen könnte, allerdings sollten wir uns beeilen, denn der Antrag auf Beschäftigung inkl. Anhang sollte morgen früh fertig sein, sonst käme er nicht mehr in die morgige Perso’rats-Sitzung. Richtig, es wäre dann auch die letzte für dieses Jahr. Der Antrag selbst kann allerdings erst morgen früh mit Frau Nr.1 fertig gemacht werden, unterschrieben werden kann es aber von meinem Chef erst ab 11 (ist wegen wichtiger Chef-Dinge außer Haus), außerdem ist das Bewilligungsschreiben irgendwie grad nicht auffindbar (ich werd’ bekloppt hier..). Angeblich schwebt es noch zwischen F-Abteilungs-Sitzung und Aktenablage, aber da soll ich morgen mal die Sekretärin nach fragen..

Also werde ich hier morgen früh mit Lebenslauf und Bewerbung auf der Matte stehen und weiter durchs Haus rotieren, drück mir die Daumen.

PS: warum sollte es denn Gilderoy interessieren, was der Präsi zu sagen hat. Zum Jahresende sind wir eh geschieden.

PS2: Diese dämlichen Dreharbeiten schon wieder, ich wäre vorhin fast explodiert, als mich irgend-so-ein Kabelträger am ‘durchs-Bild-Laufen’ hindern wollte. Die 5 Minuten hätte ich ja wohl..
— Andreas 12. Oktober 2009, 18:18 #
Oh Mann, ich drück die Daumen! Zum PS1: den GD sollte es schon interessieren, was mein Brötchengeber über den Laden denkt. Schließlich kann man auch als Blaulistler Anträge bei uns stellen, und ich nehme mal nicht an, dass ihr dann so üppig ausgestattet seid, dass ihr sonst keine Drittmittel nötig habt. Oder? Ich bin übrigens am Freitag in Berlin, vielleicht kann man dass mal abends persönlich bequatschen.
— Antenne 12. Oktober 2009, 23:40 #
Achsoja, dein Brötchengeber ist natürlich was anderes..

Wie spassig, als ich bei Frau Nr.1 gestern mitten ins Verwaltungsmeeting reinplatzte und mein Anliegen vortrug, war sie erstmal verständnislos darüber, dass das jetzt wieder alles so chaotisch wäre, und fragte, wer denn mein Betreuer sei. Auf die ehrliche Antwort hin lachten plötzlich alle im Raum herzhaft los, inklusive Herr Hack-dings. Mit diesem Mitleidsbonus konnte ich eine Stunde später den Papierkram bei ihr erledigen und darf nun hoffen und am 26. mal anfragen, ob vor dem Stichtag in der Hauptverwaltung noch was draus geworden ist..
— Andreas 14. Oktober 2009, 16:14 #

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