Ich muss jetzt mal eine Lanze für die Griechen brechen. Pausenlos wird jetzt auf sie eingeprügelt, weil sie so verschwenderisch, korrupt, großspurig und reizbar aber mäßig kompetent und realitätsnah in Wirtschaftsfragen, ständig am Schummeln und Steuerhinterziehen, sozialutopistisch und in einem überzogenen Anspruchsdenken gegenüber dem Staat verhaftet, bei gleichzeitigem Ignorieren des drohenden Bankrotts des Selbigen seien. Na und? Das sind sie seit 200 Jahren! Jetzt soll niemand ankommen und so tun, als wäre man davon überrascht oder darüber empört. Realitätsferne gehört dort zur Identität und wenn sie sich mal wieder verrannt haben, dann stehen der Rest Europas gütig lächend daneben und hilft selbstverständlich aus der Patsche. Und das ist auch völlig in Ordnung so, schließlich sind sie die Keimzelle Europas, die Namensgeber, sie haben das Fundament gegossen. Daher habe ich auch nichts dagegen, wenn man bei den Maskottchen der EU mal beide Augen zudrückt. Und mal ehrlich, 300 Mrd. € Gesamtverschuldung, das ist doch auch nicht gerade das Ende des Abendlandes. Wenn die etwas sparen ist das ja ganz gut, aber wegen den paar Euros muss man die ja nicht gleich so angehen..
Nachdem ich dem Getümmel vor der magnesichen Halbinsel beigewohnt habe, komme ich nun als passionierter Schlachtenbummler erneut auf meine Kosten. Meine Wanderung führt mich wieder durch das südliche Thessalien, um den Maliacischen Golf herum in Richtung Böotien. Kurz hinter dem Städtchen Trachis verengt sich der Weg und man steht plötzlich vor einer Gedenkstele auf der (frei übersetzt) geschrieben steht:
Fremder, melde den Lakedämoniern, dass wir hier liegen, den Gesetzen jener gehorchend.
Was ist hier geschehen? Und wo bin ich überhaupt? Ja, ich bin an dem Engpass angelangt, der den Norden Griechenlands mit dem Süden verbindet und der seit alters her nach den heißen Quellen in seiner Nähe benannt ist, den Thermopylen. Hier stellten sich dem persischen Invasionsheer ein paar tausend Hellenen entgegen und konnten den Pass drei Tage lang halten.
Aber verloren haben sie trotzdem und man muss sich wundern, dass sie den zweihunderttausend Persern und ihren Verbündeten überhaupt entgegengetreten sind. Ausschlaggebend dafür waren die Spartaner, die sich damit Zeit erkaufen wollten. Zusammen mit den anderen Peloponnesiern bauten sie fieberhaft an einer Abwehrmauer quer über den Isthmos bei Korinth. Dahinter hätten sie sich gern verschanzen und warten wollen, bis den Persern der Nachschub ausgeht. Der Plan hatte nur einen Haken, man hätte die vor der Mauer liegenden Städte sich selbst überlassen müssen, womit kein Peloponnesier ein Problem gehabt hätte, wäre nicht damit auch Athen betroffen gewesen. Und wenn die sich mit ihrer Flotte aus reiner Selbsterhaltung den Persern angeschlossen hätten, hätte auch niemand mehr die Küste beschützt und dann wäre auch die Mauer nutzlos gewesen.
Also blieb den Spartanern nichts anderes übrig, als ein Zeichen zu setzen, um die ausgeschlossenen Griechen bei Laune und als Bündnispartner zu behalten. In Eilmärschen zogen die 300 des spartanischen Elitekorps unter ihrem König Leonidas und ein paar tausend Heloten auch andere Peloponnesier an diese Engstelle. Unterwegs holten sie unter Zwang noch die Böoter, vor allem Thebaner ab, die überhaupt keine Neigung zum Kampf hatten, weil sie sich als nächstes potentielles Opfer Xerxes’ bereits mit ihm auf die Kapitulation geeinigt hatten und nun doch kämpfen sollten.
Und Xerxes kam, er wollte auch gar nicht glauben, dass sich ihm ein so kleines Heer entgegenstellen wollte und wartete darauf, dass die Griechen fliehen würden. Als sie es nicht taten und die Kavallerie sie nicht in die Flucht schlagen konnte, wurde ihm der Ernst der Lage bewusst. Zwei Tage lang berannten sie die nur 15m breite Strasse und konnten die Phalanx nicht eindrücken. In der Nacht zum dritten umging eine persische Abteilung auf einem schmalen Bergpfad das Schlachtfeld und fiel den Griechen in den Rücken.
An diesem Punkt scheiden sich die Geister, die einen sagen, Leonidas hätte mit der mangelnden Bewachung dieses Pfades einen groben Fehler begangen. Andere rühmen sein folgendes Verhalten, denn als er einsah, dass bei einer Flucht niemand der persischen Reiterei entkommen könne, stellte er seinen Bündnispartnern den Abzug frei und deckte sie mit seinem hoffnungslosen Ausharren am Pass. Nur die Thebaner mussten auch bleiben, als Quittung für ihre perserfreundliche Haltung.
Der dritte Tag endete nach zähem Ringen erwartungsgemäß mit der völligen Massakrierung der Spartaner, man sagt, sie hätten zum Schluss mit bloßen Händen und Zähnen gekämpft. Die Thebaner hingegen warfen ihre Waffen von sich und flehten darum, sie als Untertanen der Perser zu schonen, doch auch von ihnen wurden etliche niedergemetzelt. Den restlichen Griechen gelang die Flucht.
Gebracht hat die ganze Aktion wenig, außer vielleicht, dass es für die Griechen eine Heldengeschichte mehr zu erzählen gab. Xerxes rückte weiter vor, äscherte in Athen die Akropolis ein und bedrohte weiterhin die Pelopponesier. Die Isthmosmauer wurde erst im nächsten Frühjahr fertig, wurde aber gar nicht mehr gebraucht, weil sich vorher andernorts eine Entscheidung anbahnte. Aber da komme ich auch noch hin.
Unruhig ist das Meer, Welle um Welle wirft sich auf den schmalen Strand und zieht sich wieder zurück in die blaue Unendlichkeit. Wie Sinnbilder der Vergänglichkeit zeichnen sie ihre Spuren in den Sand, nur um sogleich wieder zu verschwinden, im ewigen Wechsel von Ebben und Fluten. Doch die letzte Welle hat zu meinen Füßen etwas freigespült, etwas glitzerndes, eine goldene Münze, eine persische Dareike. Das Meer hielt hier schon so manches parat, dem Glücklosen gab es Reichtum, dem Verzweifelten Ruhm und dem Hochmütigen einen nassen Tod.
Ich stehe an der Landspitze von Magnesia, der thessalischen Halbinsel und schaue hinüber nach Euböa. Nicht weit von hier, so weiß es die Legende, erwarb Peleus die Thetis und zeugte Achilles. Doch die Mythen treten zurück, wenn die Geschichte ihre Stimme erhebt. Hier begann es, an dieser Stelle begann des Xerxes’ Kampf zur Unterwerfung Europas. Während sein Heer ohne Widerstand durch Thessalien zog, sammelte sich die griechische Flotte zwischen Euböa und Böotien, um Hellas zur See zu schützen. Die Idee war einfach, man musste nur das persische Feldheer zu Lande hinhalten und parallel die Flotte vernichten, dann würde man den Nachschub abwürgen und die Brücken über den Hellespont abbrechen können. Somit wäre die Lage der Perser im Feindesland unhaltbar und die Heimat gerettet gewesen. Der Plan hatte nur einen Haken, die persische Flotte war der griechischen zahlenmäßig im mindestens das Fünffache überlegen. Daher zauderten die Griechen. Ihre Späher auf der östlich vorgelagerten Insel Skiathos wurden von einer persischen Vorhut überrascht und verfolgt, nur die Mannschaft eines der drei Schiffe konnte sich retten, indem sie ihr Schiff auf den Strand setzte und zu Fuß flüchtete. Den anderen Besatzungen erging es übler, die Perser sahen den leichten Erfolg und die Gefangennahme eines außergewöhnlich schönen Mannes aus Troizen als gutes Omen für den ganzen Feldzug und opferten ihn noch vor Ort den Göttern.
Also zogen die Griechen ab und verbargen sich hinter Euböa, während plötzlich ein für diese sommerliche Jahreszeit ungewöhnlicher Nordwind auffrischte und sich zum Sturm verstärkte. Die Hauptmacht der persischen Armada lag noch schutzlos östlich Magnesias und verlor bis zu einem Drittel ihrer Schiffe. Einem einheimischen Mann namens Ameinoklos sollen die Götter für den frühen Tod seiner Söhne damit entschädigt haben, dass sie ihm unermessliche Schätze an den Strand spülten.
Erst am vierten Tag flaute der Wind ab, wie man sagt, nachdem die Mager den griechischen Göttern geopfert hatten. Durch diese frohe Kunde ermutigt eilten die Griechen ihnen entgegen und waren bestürzt zu sehen, dass sie auch der arg mitgenommenen Perserflotte noch immer haushoch unterlegen waren. Die persischen Späher hingegen hatten ihr Nahen gemeldet, wodurch eine Teilstreitmacht entsandt werden konnte, die Euböa östlich umsegeln und den Griechen den Rückweg abschneiden sollte. Plötzlich saß man in der Falle. Nun konnte man der Schlacht nicht mehr ausweichen und man beschloss den Persern entgegenzufahren, um ihre Kampfweise zu ergründen. Es war bereits später Nachmittag, als die Flotten aufeinander trafen und sofort waren die Griechen eingekreist. Völlig überraschend spurteten die leichten Trieren der Griechen auf die Perser los und verwickelten sie in Nahkämpfe, in denen Wendigkeit der Größe überlegen ist. Als die Nacht hereinbrach und die Flotten sich trennten, hatten die Perser erneut schwere Verluste hinnehmen müssen. Die ganze Nacht regnete es in Strömen, Trümmerteile und Leichen schlugen gegen die Bordwände und so mache Perser wäre jetzt lieber zu Hause gewesen. Der zuvor entsandten Flotte erging es richtig schlecht, sie zerschellte an den euböischen Klippen nahe Eretria. Derart demoralisiert blieben sie am nächsten Tag regungslos, bis am Nachmittag die Griechen wieder kamen und sich das Schauspiel wiederholte. Am dritten Tag wurden die Perser schon zur Mittagszeit aktiv und kreisten die Griechen am Kap von Artemision ein. Im folgenden Gemetzel mussten beide Seiten herbe Verluste einstecken, wobei sich die nach wie vor bedeutende zahlenmäßige Überlegenheit der Perser auszuzahlen begann. Am Abend standen die Griechen vor schweren Entscheidungen. Sollten sie sich noch einmal stellen oder zurückweichen und ihre Schiffe für einen späteren Kampf instandsetzen? Damit würden sie Euböa und Attika dem Landheer preisgeben und nur noch am Isthmos von Korinth eine letzte Chance zur Verteidigung haben. In diesem Moment traf ein Bote von den Thermopylen ein, Leonidas war mit den Seinen gefallen und Xerxes stand der Weg nach Böotien offen. Nun waren die Würfel gefallen und ein weiterer Kampf hier nutzlos. Bei Salamis sollte man sich wiedersehen.
Eine Welle schwappt gegen meine Füße und erinnert mich, dass es eigentlich immer noch viel zu kalt ist, um lange im Wasser zu stehen. Ich blicke wieder nach unten. Die Münze ist verschwunden, fortgeschwemmt von den kalten Wellen der Ägäis.
Brrr, war das kalt. Als ich vom Meer aus nach Norden aufbrach hätte ich mir nicht träumen lassen, dass das Wetter so schnell umschlagen könnte. In Naupaktos war’s noch mollig warm, aber mitten im Pindos begann es zu schneien und als ich endlich die thessalische Ebene vor mir sah, war ich ziemlich erleichtert. Zum Glück sind die Einheimischen nicht für ihre Xenophobien bekannt und helfen dem durchgefrorenen Reisenden gern mit einer warmen Suppe weiter.
Bei dem Wetter mag man es kaum glauben, aber wir sind hier in einer der fruchtbarsten Ecken Griechenlands und die Thessaler sind für ihre edle Pferdezucht berühmt. Im Moment aber ist mal wieder Winter, der in dieser Gegend für griechische Verhältnisse mit Kälterekorden aufwartet. Der Grund dafür liegt im Mikroklima, den das Massiv des Olymps als Barriere produziert und kleinräumig schon fast kontinentale Züge trägt. Gerade hier in der Gegend um Larissa wird das besonders deutlich und man hat einen fantastischen Blick auf den Sitz der Götter. Die Ebene selbst ist besonders reizvoll und betört im Sommer mit atemberaubenden Ansichten.
Als Besucher wundert man sich schnell, warum dieses große und gesegnete Land keine beherrschende Stellung unter den Griechen innehat. Aber tatsächlich ist mir kein Fall bekannt, in dem die Thessaler mal zu einer bestimmenden Größe angewachsen wären. Bisher haben sie sich nur dadurch unbeliebt gemacht, dass sie sich den Persern nicht nur präventiv ergeben sondern auch zum Angriff auf Griechenland aufgefordert haben. Als damals Mardonios mit einem persischen Heer lange vor Xerxes vor ihren Grenzen stand, begaben sich sofort in seine Arme und wurden dafür mit einem Feldzug von den Spartanern abgestraft. Erst viel später werden sie zu Macht und Reichtum gelangen, aber dafür auch gleich von den Makedonen erobert.
Doch ich bin ja nicht wegen den Thessalern hier, sondern wegen ihm. Hat er nicht etwas erhabenes?
28. Februar 2007, 16:44 von Andreas Jahn Κωμμενταρε
Gähn. Schiffsreisen machen einen immer so müde, zumindest wenn man als Passagier an Deck liegt und sich die Sonne auf den Bauch scheinen lässt. Oder bin ich noch vom Wein ermattet, mehr hatte das Nachtleben auf Ithaka ja nicht zu bieten. Jedenfalls ist schon wieder Abend als wir in Naupaktos einlaufen und ich überlege mir, dass es eine ganz dumme Angewohnheit der Seeleute ist, tagsüber zu reisen. Da bekommt man doch als Sightseeing-Tourist von den Hafenstädten kaum was mit! Na damit ist jetzt erst mal Schluss, ab hier geht es zu Fuss weiter.
Wir erinnern uns: auf dem Weg nach Süden haben wir bei einen Abstecher die Ionischen Inseln flüchtig gesehen und wollen nun über Aitolien einen Schlenker nach Thessalien unternehmen. Dafür sind wir bei lauer Brise gemächlich in den Golf von Calydon eingefahren, der sich ostwärts zum Golf von Korinth verengt. Im Norden leuchten uns bereits die grünen Felder der aitolischen Küstenebenen an, während sich im Süden das Land der Achäer sehr einladend zeigt. Eigentlich ist die Entfernung gar nicht so groß, vielleicht könnte man die beiden Länder mal durch ein Brücke verbinden..
Wie aus dem Nichts taucht zwischen felsiger Landzunge und einem ausgedehnten Flußdelta der kleine Hafen von Naupaktos auf. Jetzt bin ich etwas verwundert, das soll einer der wichtigsten Flottenstützpunkte der Athener sein? Ich wusste ja schon, dass die Lokrer, denen die Athener diese Stadt wegegenommen haben, arm sind, aber dass sie so arm sind, hätte ich nicht vermutet.
Trotz allem wird sich dieser Ort als bedeutsam erweisen, da mit der Herrschaft über die Ausfahrt aus dem korinthischen Golf ein entscheidender Baustein an der Seeherrschaft der Athener gesetzt ist. Wenn auf Kerkyra die Parteienkämpfe voll entbrennen, werden die Korinther versuchen, ihren Einfluss auf die Insel zurückzuerlangen und eine Flotte mit 65 Schiffen entsenden, die mit ausreichend Soldaten und Geld an Bord vor Ort Fakten schaffen soll. Da mit der Übernahme Kerkyras Flotte durch die Korinther das Gleichgewicht zur See oder besser gesagt die Dominanz Athens zur See gefährdet werden würde, proklamieren die Athener im Attischen Seebund den Bündnisfall und weiten den parallel laufenden Konflikt um Potidaia an der makedonischen Küste damit entgültig zum Peloponnesischen Krieg aus. Eine athenische Flotte von 20 Trieren wird sich dem korinthischen Konvoi in den Weg stellen und in bei einem Durchbruchsversuch versenken.
Bemerkenswert ist der Verlauf dieses Gefechts, zumal die Athener doch in erheblicher Unterzahl sind. Das Unglück der Korinther beginnt schon damit, dass sie sich selbst für unerfahrene Seeleute und die Athener für überlegen halten. Das führt dazu, dass sie sich nicht offen dem Kampf stellen wollen sondern unschlüssig auf der Stelle paddeln, während die Athener wie skythische Reiter eine Wagenburg sie in einer Angriffslinie umkreisen, auf eine Schwäche lauern und den Ring dabei immer enger ziehen. Schließlich berühren sich die Korinther bereits und verkeilen sich, so dass sie völlig manövrierunfähig werden. In diesem Moment scheren auf ein Signal hin die Athener aus ihrer Kreisbahn aus und können trotz der kurzen Anlaufstrecke mit voller Fahrt die Korinther rammen. (Zum Vergleich: keine 80 Jahre zuvor enthoben die Griechen trotz Nahen der Perser ihren Oberbefehlhaber der Flotte seines Kommandos, weil er mit ihnen Ruderübungen veranstalten wollte und ihnen das zu anstrengend war) Das Ergebnis hat nicht sehr zur Förderung des korinthischen Selbstvertrauens in die eigene Seetauglichkeit beigetragen.
Von hier aus werden die Athener auch versuchen, die Bergvölker und Nordwestgriechen gegen die Böoter aufzuwiegeln, wobei natürlich für sie selbst auch etwas Land rausspringen soll, aber viel Glück werden sie damit nicht haben. Infolge dessen wird man hier ein paar befreite Messener ansiedeln, die nach ihren erfolglosen Aufständen gegen die Spartaner ganz dringend eine neue Heimat suchen.
Aber das werden wir uns noch alles vor Ort angucken, jetzt sind wir erst mal in Naupaktos. Nach dem vielen Rumsitzen auf Schiffen habe ich mir das Abendessen in der Taverne redlich verdient..
24. Februar 2007, 18:49 von Andreas Jahn Κωμμενταρε