Stones: Euphemismus des Tages

Euphemismus des Tages 47

“Camera silens” – der stille Raum

Das klingt doch ganz harmlos, so ein stiller Raum. Aber gestern kam auf Arte eine Sendung über Reizentzugs-Experimente (mit Freiwilligen an einer Uni), die mal die Folgen fehlender Reize auf das Nervensystem andeuteten. Dafür wurden die Probanden für 48h in einen vielleicht drei Meter langen Raum gesteckt, in dem ein Bett, ein Klappstuhl und ein Minitisch standen. Der Raum war schallisoliert und völlig dunkel. Nach ein paar Minuten der Unsicherheit begann die Langeweile, die immer nervtötender wurde und zu einem massiven Unwohlsein führte. Irgendwann fingen alle an, im Raum herumzulaufen und mit dem Kopf zu wackeln oder sich sonstwie Reize zuzuführen und das obwohl sie genau wussten, dass das für die Leute hinter der Infrarotkamera bestimmt reichlich debil aussieht. Eine Frau regte sich über ihre nasse Bettwäsche auf, die jedoch lediglich kalt war, ihre Sinne konnten das aber nicht richtig verarbeiten. Die Leute schliefen, wachten auf, wussten nicht wie viel Zeit vergangen war, schliefen wieder, kamen völlig aus dem tritt und sahen plötzlich Schlangen und Zebras durch den Raum wandeln. Und das alles ohne Drogen und mit dem klaren Wissen über den Versuchsablauf, nämlich wo sie waren, dass es nur zwei Tage dauert, dass sie jederzeit durch die unverschlossene Tür abhauen könnten oder dass die sie beobachtenden Wissenschaftler intervenieren würden, wenn sie zu sehr vom Teppich abheben.
Zwischendurch wurden Leute gezeigt, die sowas als Gefangene durchgemacht hatten, der eine als Geisel im Libanon für acht Monate, ein andere als fälschlich verurteilter Mörder in einem staatlichen US-Gefängnis über mehrere Jahre. Da gab es die gesetzliche Regelung, dass man höchstens für zwei Wochen in die Dunkelkammer gesteckt darf und dann für mindestens vier Tage wieder raus mus, bevor man wieder rein kann. Zwei Wochen! Die Probanden haben nach zwanzig Stunden schon bedeutende Abnormitäten gezeigt. Für ihn ist diese Erfahrung nun zehn Jahre her, aber er kann sich bis heute keine Zeitabläufe mehr merken. er weiss noch, dass er zum Frühstück einen Kaffee und ein Brötchen hatte, aber nicht mehr die Reihenfolge.
Um es kurz zu machen, gleich im Anschluß wurden in diesem Experiment Gedächtnis-, Konzentration und Beeinflußbarkeitstests gemacht. Wie erwartet waren die kognitiven Leistungen hinterher unterirdisch, aber spannend war wiederum der Grad der Manipulierbarkeit durch Fragen. Da wurden deteilreiche Kurzgeschichten von Raubüberfällen vorgetragen und die Probanden sollten hinterher Fragen beantworten, wie beispielsweise: hatte der Junge Angst, als die Räuber aus dem Auto ausstiegen? Die Männer sagten alle ‘ja, klar’, die zwei Frauen meinten, daß da doch gar kein Auto gewesen wäre und das war natürlich richtig. Was sagt uns das über Verhörergebnisse, die mit dieser Technik des Reizentzugs als so genannte “Weisse Folter” gewonnen werden? Kein Wunder, dass in Afghanistan gefangene Sudanesen plötzlich was über irakische Biowaffenprogramme zu berichten haben.

24. März 2009, 11:39 von Andreas Jahn Kommentare

Euphemismus des Tages 46

“Schutzschirm”

Ich kanns nicht mehr hören. Alle fordern Schutzschirme, alle wollen mit drunterkriechen, jeder Politiker sucht durch die Einrichtung eines solchen sein volkswirtschaftsstützendes Selbstbild in der Öffentlichkeit aufzupolieren und der brave aber verängstigte Bürger von der Strasse bekommt das wohlige Gefühl vermittelt, dass neue Sicherheiten geschaffen und Arbeitsplätze gerettet werden.
Und was heisst das im Klartext? Der Staat nimmt Steuergelder, die er nicht hat und sich deshalb auf Pump besorgt, um Firmen zu retten, deren Produkte auf den Weltmärkten keinen Absatz mehr finden, weil sie aus irgendwelchen Gründen am Bedarf vorbei-designed wurden und nun in der Krise als erstes von der Einkaufsliste gestrichen wurden. OK, viele können nichts dafür, was soll der Architekt oder der Klempner auch machen, wenn die Leute ihre Eigenheiminvestitionen plötzlich auf die lange Bank schieben. Aber die kriegen ja eh kein Geld, es geht in der Schutzschirmplatz-Verteilungs-Debatte ja immer nur um Banken, Autokonzerne und ähnliche Global Player und warum die nicht schon von selbst darauf kommen, eine Verschlankung der Branche als Chance für eine Neuaufstellung im Konkurrennzkampf zu sehen will mir nicht in den Kopf. Sie, die sich mit Marktanalysen, gigantischen Computermodellen zum Kunden und Investitionsverhalten sowie beträchtlichem Kapital und Renommee auf die Krise am Besten hätten vorbereiten können haben jetzt absatzschwierige Produktpaletten, fehlende Rücklagen (auch ein schöner Euphemismus: Eigenkapitaldecke) und schreien nach öffentlichen Geldern.

8. Januar 2009, 13:05 von Andreas Jahn Kommentare [2]

Euphemismus des Tages 44

Es gibt große Angst, dass die Finanzkrise auf die Realwirtschaft durchschlägt..

Realwirtschaft vs. Finanzwirtschaft. Na wenn das mal keine fundierte Einschätzung der Bedeutung der Bankenbranche ist..

8. Oktober 2008, 12:22 von Andreas Jahn Kommentare

Euphemismus des Tages 43

‘..Außerdem könne er sich nicht daran erinnern, dass Deutschland irgendjemandem den Krieg erklärt habe..’

Ein von der Tagesschau zitierter Kommentar eines vom ständigen Kriegsgerede entnervten deutschen Verteidigungsministers, der es innepolitisch mal echt störend findet, wenn seine Soldaten schon wieder über einen toten Kameraden jammern. Es war jetzt der 28ste.

5. September 2008, 12:19 von Andreas Jahn Kommentare

Euphemismus des Tages 42

Egal wen man fragt, heute sind alle

“ernstlich besorgt”.

Ob EU, NATO, Weltsicherheitsrat oder wer auch immer, alle habe heute ein ganz schlechtes Gefühl betreffs der Lage in Georgien. Unser weit/umsichtiger Außenminister hat es sich nehmen lassen, beim Georgischen Präsidenten persönlich anzurufen und ihm von seiner Sorge zu erzählen.

Und was soll der jetzt machen? Mag ja sein, dass er den Bogen überspannt hat und mit stiller Befürwortung bislang ungenannter Unterstützer die Ossetengebiete in einer Hauruck-Aktion “befrieden” wollte. Aber nun sind die Russen einmarschiert und er hat die Genaralmobilmachung angeordnet. Formell ist Ossetien immer noch georgisches Staatsgebiet und wenn die Russen nicht mehr “Friedenssichernd” aktiv sind, sondern die Bildung einer von ihr abhängigen Autonomiezone militärisch absichern, in der die Leute heute schon einen russischen Pass haben, dann grenzt das an eine Eroberung fremden Territoriums. Was nun? Möglichkeiten zur weiteren Eskalation gibt es viele. Werden die Russen sich auf Ossetien beschränken? Einen Flughafen bei Tiflis haben sie schon bombardiert. Werden die russisch unterstützten Abchasen mitmischen? Wird der Westen dem Fast-NATO-Mitglied Georgien weitere Waffen zukommen lassen, nachdem sie das schon die letzten Jahre getan und auch die Armee ausgebildet haben, um wahrscheinlich genau das zu tun, womit die Georgier heute morgen angefangen haben? Schließlich gehts hier auch um Öl-Transitrouten auf die Russland keinen Zugriff hätte.
Was also werden die Großmächte tun, wird sich eine Seite damit abfinden, mit einer blutigen Nase davonzugehen? Oder wird man auf einen Status Quo hinarbeiten? Es bleibt spannend.

8. August 2008, 15:58 von Andreas Jahn Kommentare [3]

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